06.09.2015

Wie elektrischer Strom Wunden heilt

In Hautwunden entsteht elektrischer Strom, der aus der unmittelbaren Umgebung der Verletzungsstelle Zellen anzieht, die zur Wundheilung beitragen. Verantwortlich dafür, dass sich diese Zellen Richtung Wunde bewegen, sind zwei Gene, wie ein internationales Wissenschaftlerteam unter Beteiligung österreichischer Molekularbiologen berichtet.

Elektrische Ströme, die die Wundheilung beschleunigen sollen, zählen seit langem zum Repertoire alternativer Behandlungsmethoden. Wie genau Elektrizität und die Heilung von Wunden biologisch zusammenhängen könnten, war bislang jedoch unbekannt. Nun konnte erstmals molekularbiologisch nachgewiesen werden, welche Bedeutung Strom für die Wundheilung hat.



Ein internationales Forscherteam, an dem auch Wissenschaftler des Instituts für Molekulare Biotechnologie der Österreichschen Akademie der Wissenschaften (IMBA) beteiligt sind, hat seine Forschungsergebnisse in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "Nature" veröffentlicht.

Elektrizität in Wunden beschleunigt Heilung
Dass Hautwunden unter Strom stehen, ist schon lange bekannt. Vor rund 160 Jahren hat sich der deutsche Physiologe Emil Du-Bois Reymond in den Finger geschnitten, mit einem Strommesser bewiesen, dass in seiner frischen Wunde Strom fließt, - und so das Forschungsgebiet der Elektrophysiologie etabliert.
Die elektrische Spannung in Wunden wirkt auf das Umfeld. Aus ein bis zwei Millimeter Entfernung von der verletzten Stelle werden dadurch Zellen angezogen, die zur Wundheilung beitragen, wie das Forscherteam rund um den Molekularbiologen und Direktor des IMBA Josef Penninger feststellen konnte.

Wundelektrizität
Warum in Wunden überhaupt Elektrizität entsteht, lässt sich physikalisch erklären: In Gewebeverbänden organisiert wirken Zellen wie kleine Batterien. Durch die verschiedenen Schichten der Haut baut sich eine Potenzialdifferenz auf. Wird die Haut beispielsweise durch einen Schnitt verletzt, entsteht ein Kurzschluss - am Wundrand ist ein elektrisches Feld messbar.

Zwei Gene sensibel auf Strom
Im Mausversuch haben die Wissenschaftler zwei Gene identifiziert, die entscheidend dafür sind, wie Zellen, die zur Wundheilung beitragen, auf ein elektrisches Feld reagieren.
Die zwei Genprodukte, ein Protein mit dem wenig klingenden Namen PI3K und der Tumorsuppressor PTEN, wirken wie Antagonisten.

Elektrotaxis
Die elektrische Anziehungskraft wirkt in Zellen auf dem Signalweg, der auch die Chemotaxis, die Bewegung zu oder von bestimmten chemischen Substanzen, steuert. Zentrales Element ist dabei PI3K, das bewirkt, dass Zellen sich zu einem elektrischen Feld hinbewegen.
In Experimenten mit Mäusen und in Zellkultur haben die Wissenschaftler das Gen für PI3K ausgeschaltet. Die Zellen reagierten daraufhin nicht mehr auf elektrische Felder und die Wundheilung verlangsamte sich.
Natürlicher Antagonist von PI3K in der Elektrotaxis ist der Tumorsuppressor PTEN, der die Wirkung von PI3K unterdrückt. Schalteten die Forscher PTEN aus, beschleunigte das die Wundheilung.
Damit, so Josef Penninger, sei erstmals bewiesen, dass es Gene gibt, die kontrollieren, wie Elektrizität die Wunden heilt.

Praktische Bedeutung für Wundheilung
Trockene Wunden heilen schneller. Diese alte Einsicht erhält durch die aktuelle Forschung eine weitere Erklärung: Trockene Wunden stehen unter einem Strom, der für die Wundheilung günstig ist.
Die Wissenschaftler konnten aber auch zeigen, dass durch eine aktive Veränderung von Natrium- oder Chlorid-Kanälen das elektrische Potenzial in den verletzten Stellen verändert und so die Wundheilung beschleunigt werden kann.
Außerdem hofft der Molekularbiologe Penninger, mit dieser Arbeit einen weiteren Anreiz dafür zu geben, Prinzipien der Alternativmedizin auch klassisch naturwissenschaftlich zu untersuchen.

ein Bericht von Birgit Dalheimer, Ö1-Wissenschaft, 26.7.06

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